von Anne Stern
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Bibliografische Angaben:
Erscheinungsdatum: 12. März 2025
Verlag: Aufbau Verlage
Ausgaben: Hardcover mit Schutzumschlag & eBook
ISBN: 978-3-351-04236-3
Seitenanzahl: 383 Seiten
Preise: 23,00€ (Hardcover), 09,99€ (eBook)
Homepage:
https://www.aufbau-verlage.de/aufbau/wenn-die-tage-langer-werden/978-3-351-04236-3
https://www.annestern.de/romane
Klappentext:
„Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass die alleinerziehende Musiklehrerin Lisa einen Sommer ohne ihren Sohn vor sich hat. Doch die lang ersehnte Freiheit bringt auch Zweifel mit sich. Da ist die Sehnsucht nach ihrem Kind und die Frage, was für eine Frau sie eigentlich ist, wenn sie mal keine Mutter ist. Auf der Suche nach einem Restaurator für ihre alte vernachlässigte Geige begegnet sie der Obstbäuerin Ute in ihrem Kirschgarten, einer Frau, die keine Zeit mehr für Kompromisse hat. Bald wird Lisa klar, dass die Frage nach ihr selbst eng mit all dem verknüpft ist, worüber in ihrer Familie stets geschwiegen wurde. Und sie erfährt die unwiderstehliche Magie eines Sommers zwischen den Abgründen der Vergangenheit und einer neuen flirrenden Freiheit.“
*Hinweise:
– Das Buch habe ich freundlicherweise von der Autorin und den Aufbau Verlagen als signiertes Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen, ganz herzlichen Dank dafür.
– Ich habe von der Autorin und vom Verlag keinerlei finanzielle Gegenleistungen erhalten, die Rezension spiegelt meinen persönlichen Lese-Eindruck wieder.
– Aufgrund der Gegenleistung in Form eines kostenlosen Rezensionsexemplars, der Verlinkung der Homepages und der Leseempfehlung kennzeichne ich diese Rezension als WERBUNG.
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In ihrem Roman „Wenn die Tage länger werden“ erzählt Anne Stern eine berührende Geschichte davon, wie ihre Hauptfigur sich der Vergangenheit ihrer Familie stellt und dadurch auch wieder zu sich selbst findet.
„Die Stunden reihten sich aneinander, und alle Tätigkeiten, die sie verrichtete, glichen einander und waren am Abend nicht mehr als ein Klumpen aus Belanglosigkeit und Pflicht. Dieses Gefühl, alles zu erledigen, doch für nichts wirklich zu brennen, hatte sich in ihr Leben geschlichen, sie wusste nicht mehr, seit wann.“
[Kapitel 02, Seite 21]
Freiburg im Breisgau: Die alleinerziehende Musiklehrerin Lisa hat das erste Mal seit sechs Jahren ein paar Wochen in den Sommerferien für sich, da ihr Sohn Zeit mit seinem Vater bei den Großeltern in Polen verbringt. Einerseits freut sie sich auf ihre lang ersehnte Freizeit – gleichzeitig vermisst sie ihr Kind. Sie stellt sich die Frage, was sie für eine Frau ist, wenn sie mal keine Mutter ist.
Als sie ihre Geige aus Jugendtagen wieder findet und diese zu einem Restaurator bringt, trifft sie auf die schwer erkrankte Obstbäuerin Ute. Es entspinnt sich eine zarte Freundschaft zwischen den zwei völlig verschiedenen Frauen.
Auf der Suche nach sich selbst, stellt sich Lisa auch der Vergangenheit ihrer Familie. Denn hier wurde einiges verschwiegen – und dieses Schweigen berührt Lisas eigenes Leben noch immer.
Anne Stern gehört seit vielen Jahren zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen und ich freue mich auf jede Neuerscheinung aus ihrer Feder. Ich liebe ihre unverwechselbaren, gefühlvollen und gleichzeitig kraftvollen Geschichten, aus denen ich immer sehr viel mitnehme.
Im August 2022 war Anne Stern auf Recherchereise in Freiburg unterwegs und wir trafen uns. Seit dem freute ich mich auf den neuen Roman, der in meiner Heimatstadt angesiedelt sein sollte. Und nun halte ich den Roman endlich in meinen Händen – und habe diesen mit großer Begeisterung gelesen.
Freundlicherweise bekam ich das Buch als vorzeitiges und signiertes Rezensionsexemplar zugesendet – an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an Anne Stern und an die Aufbau Verlage.
Die Ausgabeart des Buches ist ein sehr hochwertig gestaltetes Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen und insgesamt 383 Seiten. Ein Ausschnitt aus einem Gemälde des Künstlers David Hettinger (geboren 1946) bildet das stimmungsvolle Cover des Buches: Zu sehen ist eine Frau, die auf einer sommerlichen Wiese auf dem Bauch liegt. Ihr Kopf ruht auf den verschränkten Händen und sie blickt verträumt in die Ferne. Das ganze Cover scheint zu leuchten, vermittelt einerseits die Leichtigkeit des Sommers und hat gleichzeitig aber auch etwas melancholisches an sich: Somit passt es hervorragend zum Inhalt des Buches.
Auch der wunderbare Titel des Buches lässt sich auf zwei Arten verstehen: Einerseits mit langen Sommertagen, aber auch mit den Tagen, die die Hauptfigur ohne ihr Kind erlebt und die dadurch länger erscheinen.
Die 383 Seiten teilen sich auf 33 Kapitel auf, die alle eine angenehme Länge haben. Insgesamt umspannt die Haupthandlung nur wenige Wochen – das letzte Kapitel setzt dann zwei Monate nach dieser an.
Wie in all ihren Geschichten zaubert Anne Stern mit ihrem bildhaften und poetischen Sprachstil ab der ersten Seite wunderschöne und eindringliche Bilder in die Köpfe ihrer Leserinnen und Leser. Es ist eine Geschichte, die mich mitgenommen und weggetragen hat und bei der ich alles um mich herum vergessen konnte. Genau so müssen gute Geschichten sein.
„Immer wieder diese Gleichzeitigkeit der Dinge und die Unmöglichkeit, alle Empfindungen zu vereinen! Ihre Angst, Paul loszulassen, ihre Sehnsucht nach ihm, die sie schon quälte, ehe er fort war, aber auch ihren Hunger nach Für-sich-Sein, nach Ruhe und Selbst-Entscheiden, was sie im nächsten Moment tun wolle. Überwog die Sehnsucht nach Paul denn immer die nach sich selbst, nach Lisa? Und hatte eine Mutter überhaupt das Recht dazu, allein sein zu wollen?“
[Kapitel 04, Seite 41]
Lisa ist eine der Hauptfiguren des Buches: Sie arbeitet als Musiklehrerin in Teilzeit an einer Schule in Freiburg, ist alleinerziehend und sie hasst alles, was mit Zahlen zu tun hat. Ihr sechsjähriger Sohn Paul stammt aus einer leidenschaftlichen Beziehung mit Janusz, der nach Oldenburg gezogen ist und sein Kind dadurch nur sporadisch sieht. Nun möchte Janusz mit Paul drei Wochen in den Urlaub fahren – zu seinen Eltern nach Polen. Einerseits sehnt sich Lisa nach dieser freien Zeit, auf der anderen Seite macht ihr die Trennung von ihrem Sohn sehr zu schaffen. Denn in erster Linie ist sie Mutter und sie weiß nicht, wie sie sich ohne ihren Sohn definieren soll, was von ihr als Frau bleibt, wenn sie (mal) keine Mutter ist. Ich mochte Lisa ab der ersten Seite und konnte mich gut in sie hineinfühlen. Stets umgibt sie etwas Trauriges und sie hadert mit sich, ihrem Leben, ihren Depressionen und vor allem trägt sie schwer an ihrem Verhältnis zu ihrer resoluten Mutter Barbara: Lisa ist deren ständiger Kritik ausgesetzt, kann ihr nichts recht machen. Der viel zu frühe Verlust von Lisas Vater hat die Beiden nicht zusammengeschweißt, sondern sie eher voneinander getrennt. Das ignorante und ungerechte Verhalten von Barbara ihrer Tochter gegenüber machte mich mitunter sprachlos und traurig. Doch natürlich hat auch sie ihre Gründe, wie und warum sie zu diesem Menschen geworden ist.
Im Verlauf der Handlung findet Lisa immer mehr zu sich selbst – auch wenn sie dadurch an der lange verschwiegenen Vergangenheit ihrer Familie rühren muss.
„Sie ertrug Langsamkeit nicht, weder bei anderen noch bei sich selbst, und nun sah sie sich selbst ungläubig und wütend dabei zu, wie ihr Alltag dem Kriechen einer Schnecke glich, nachdem sie doch bisher so zäh und stark wie eine Bisamratte gewesen war.“
[Kapitel 03, Seite 25]
Neben Lisa steht die Obstbäuerin Ute im Mittelpunkt der Geschichte. Ute lebt zusammen mit ihrem fast neunzigjährigen Vater in einem etwas heruntergekommener Bauernhof im Dreisamtal, ihrem Elternhaus, mitten in der ländlichen Idylle. Die Großstadt Freiburg scheint von hier aus so fern und Ute könnte sich keinen anderen Wohnort vorstellen. Doch Ute ist krank – sehr krank. Die Krankheit schränkt sie immer weiter ein und all ihre Gedanken kreisen darum, wie es mit ihrem Vater ergeht, sollte sie in nächster Zukunft nicht mehr da sein. Utes Charakter ist etwas schwer zu fassen, da sie zu Beginn sehr in sich gekehrt wirkt und vieles mit sich selbst ausmacht. Doch im Fortgang der Handlung habe ich Ute und ihre Beweggründe immer besser verstanden und ich schloss sie in mein Herz. Sie ist, wie auch Lisa, ein sehr facettenreicher Charakter, den man erst nach und nach richtig kennenlernt.
Anne Stern hat neben diese beiden Hauptfiguren einige Figuren gestellt, auf die ich nicht genauer eingehen möchte, da ich sonst zu viel von der Handlung vorwegnehme. Sie alle haben ihren Platz in der Geschichte, sind ambivalent und facettenreich angelegt und konnten mich mit ihren Konflikten und Denkweisen absolut überzeugen. Anne Stern versteht es wunderbar, mit ihren unverwechselbaren Charakteren Geschichte und Geschichten zu erzählen, die im Kopf und im Herzen bleiben.
Spannend fand ich, wie die Vergangenheit und das Schweigen darüber, die Gegenwart und das Leben der Figuren berührt. Lisa lässt das Vergangene keine Ruhe und sie beginnt mit ihren Nachforschungen und reißt damit bei ihrer Mutter Wunden auf, die nie richtig, sondern nur oberflächlich verheilt waren.
Hierbei steht vor allem der Umgang mit der sogenannten NS-Raubkunst im Zentrum der Handlung: Dieser Begriff bezeichnet die verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter von Personen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten aus rassischen, religiösen und politischen Gründen verfolgt wurden.
Ein weiteres Thema, welches nicht im historischen Kontext steht, sondern im Hier und Jetzt angesiedelt ist, ist die Selbstfindung der Frauen neben und nach der Mutterschaft. Was bleibt von einer Frau, wenn sie Mutter ist und was bleibt von ihr, wenn sie keine Mutter ist. Auch wenn diese Frage Lisa nur temporär beschäftigt, stellt sie sich diese Frage – auch im Zusammenhang mit ihrer Mutter.
Anne Stern stellt diese beiden völlig verschiedenen Thematiken nebeneinander und verwebt sie zu einer einnehmenden und emotionalen Geschichte, die ich definitiv nicht mehr so schnell vergessen werde.
„Sie wäre auch ohne Paul immer noch Lisa, eine Frau ohne Kind. Könnte sie ohne Paul leben? Niemals!, dachte sie sofort. Doch es kam ihr in den Sinn, dass man nicht wissen konnte, was alles in einem schlummerte. Was man ertragen könnte und ob ihr etwas fehlen würde, das sie niemals kennengelernt hätte.“
[Kapitel 19, Seite 246]
Danke liebe Anne Stern für dieses wunderbare Leseerlebnis.

Fazit: „Wenn die Tage länger werden“ von Anne Stern ist ein tiefgründiger und poetisch geschriebener Roman, der mich mitgetragen hat und mich von Anfang bis Ende überzeugt hat.
Sehr sehr lesenswert und ein absolutes Jahreshighlight.
*Ich habe für diese Rezension von der Autorin und vom Verlag keinerlei finanzielle Gegenleistung bekommen, sie spiegelt mein persönliches Leseempfinden wieder. Aufgrund der Gegenleistung eines kostenlosen Rezensionsexemplars, der uneingeschränkten Leseempfehlung und der Verlinkung der Homepage der Autorin und der Verlagshomepage, ist diese Rezension als WERBUNG gekennzeichnet.