„Die Farbe des Nordwinds“

von Klara Jahn

Erschienen am 08.März 2021 im Heyne-Verlag als Hardcover
ISBN: 978-3-453-27313-9
https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Die-Farbe-des-Nordwinds/Klara-Jahn/Heyne/e573627.rhd

Hinweise:
– Das Buch habe ich als kostenloses Rezensionsexemplar (Leseexemplar) vom Heyne-Verlag erhalten. Ich habe für diese Rezension keinerlei finanzielle Gegenleistungen seitens des Verlages oder der Autorin bekommen. Diese Rezension spiegelt mein persönliches Lese-Empfinden wieder.
– Alle angeführten Zitate beziehen sich auf die Seitenzahn der gedruckten Ausgabe.

Das Buch „Die Farbe des Nordwinds“ von Klara Jahn ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen auf den Halligen in der Nordsee spielt und von Neuanfängen und der Suche nach Heimat erzählt.

„Die Farbe des Nordwinds“
von Klara Jahn
Coverrechte: Heyne-Verlag

Das Buch beginnt mit dem Erzählstrang im „Damals“:
Hier schreibt ein Mann, welcher Ende des 18. Jahrhundert auf der Hallig geboren wurde und dort ein entbehrungsreiches Leben führt. Nach dem Tod der Eltern verlässt er die Hallig und damit auch seinen jüngeren Bruder und geht aufs Festland. Dort genießt der begabte Junge eine gute Ausbildung. Jahre später kehrt er als Lehrer zurück, kommt aber nicht mehr richtig in seiner Heimat an. Die Menschen der Hallig, auch sein Bruder, sind ihm fremd geworden, aber auch er ist den Menschen fremd geworden. Dann steht die große Halligflut im Jahre 1825 vor der Tür und bedroht die Menschen und die Halligen.
Der zweite Erzählstrang setzt im Jetzt an: Ellen, eine junge Frau reist auf eine der Halligen. Aber nicht um Urlaub zu machen – sie möchte bleiben und wagt den Neuanfang. Seit sie als Kind mit ihrer Mutter für kurze Zeit auf der Hallig lebte und diese wieder überstürzt verlassen musste, sind die Halligen für sie ein Sehnsuchtsort. Als Lehrerin kehrt sie zurück, doch bleibt sie Liske, ihre damalige Stiefschwester, und auch den anderen Halliglüd fremd. Ellen findet heraus, dass die Inseln schon damals in Gefahr waren, heute aber mehr den je. Der Kampf um die Halligen eint und trennt Liske und Ellen gleichermaßen, verbindet sie aber mit der Vergangenheit.

Durch eine Mail des Verlages bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Das Cover zog mich direkt in seinen Bann, der Klappentext machte mich neugierig und als ich dann noch erfuhr, dass der Name Klara Jahn ein Pseudonym von Julia Kröhn ist, war klar, dass ich dieses Buch lesen muss. Julia Kröhn gehört für mich schon seit vielen Jahren zu meinen Lieblingsautorinnen, da sie mich mit ihrer bildhaften Sprache und den vielfältigen Themen ihrer Geschichten immer wieder überzeugen kann.
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an den Heine-Verlag für die Zusendung des Buches als Rezensionsexemplar.

Der Haupt-Handlungsort ist in diesem Buch ist sehr überschaubar: Eine Hallig. Auch die Charaktere, die Klara Jahn dort angesiedelt hat, sind von der Anzahl her überschaubar. Das alles führt dazu, dass mit alle Figuren sehr nahe kamen, ich ihre Eigenheiten und Feinheiten spüren konnte.
Ellen, die in ihrem Leben nie richtig angekommen ist: Als junges Mädchen wird sie von ihrer Mutter immer wieder mitgezogen, kann nirgendwo Wurzeln schlagen, nirgendwo fühlt sie sich zuhause. Bis der Weg auf die Hallig führt – dort bekommt die damals 16 jährige Ellen eine Idee von Heimat. Doch kaum beginnt sie Fuß zu fassen, muss sie wieder gehen. Als Mittdreißigerin kommt sie nach einer gescheiterten Beziehung und Jobverlust wieder zurück auf die Hallig. Ellens Charakter hat mich sehr überzeugt, da sie zwar neue Impulse auf die Hallig bringt, sich aber auch anpassen möchte und eine realistische Entwicklung durchlebt. Sie ist eine Frau, die auf der Suche nach Heimat ist, sich selbst dabei treu bleibt und sich nicht unterkriegen lässt.

Liske hat ihre Heimat, ihre Wurzeln, aber glücklich ist sie nicht. Noch nie hat sie die Hallig verlassen. Sie ist sauer auf Ellen und enttäuscht darüber, dass diese damals einfach gehen konnte und sie zurückgelassen wurde.

»„Manchmal fühle ich mich wie an einem Bahnhof“ gestand sie. „Das Meer kommt und geht, die Vögel kommen und gehen, nur ich bleibe.“«
[S. 203, Z. 20-22]

Liske wirkt ganz oft verbittert, öffnet sich dann etwas, verschließt sich dann aber sehr schnell wieder. Ich mochte ihren Charakter trotzdem sehr gerne, da Liske eben nicht sehr schnell zu durchschauen war und sie sich auch sehr positiv entwickelt hat.

Um Ellen und Liske leben und handeln noch zahlreiche weitere Figuren, mit ihren Eigenheiten und ihren, teils tragischen, Geschichten. Sie alle denken und handeln unterschiedlich, aber sie alle werden durch das Leben auf der Hallig geeint.
Jasper, Liskes Sohn hat eine leicht verschrobene Art an sich, konnte mich aber trotzdem für sich einnehmen. Jakob Heinemann und seine Tochter Metha, die eine tragische Geschichte auf die Hallig brachte, haben mich sehr berührt.
Arjen Martenson, ist die Hauptfigur im „Damals“. Dadurch, dass er aus der „Ich-Perspektive“ erzählt, kam ich ihm und seiner Geschichte nochmal sehr viel näher. Teilweise sehr bedrückend aber auch immer mit viel Hoffnung erzählt er vom Alltag auf den Halligen im 19. Jahrhundert. Die Personen, die neben ihm agieren, haben mir durch ihre authentische Charakterzeichnung ebenfalls sehr gut gefallen und geben ein gutes Bild dieser Zeit ab.

Eine weitere Hauptfigur ist die Natur. Hier sind es vor allem der Wind und das Meer. Die Halligen sind kein lieblicher Ort, eher herb aber trotzdem schön.

» Während sie die Haare festhielt, betrachtete sie die Landschaft, die zu Meer und Himmel und Hallig geronnene Gleichung, in der auf beiden Seiten die Unendlichkeit steht. Das Land war unzählige Male von Stürmen und Fluten zerklüftet worden; die Weite, die es umgab, war eine Primzahl: Nicht teilbar. Spektakulär war das, was man fühlte, nicht das, was man sah.«
[S. 58, Z. 22 – 29]

Durch die vielen unterschiedlichen Charaktere, das Erzählen auf zwei Zeitebenen und durch Klara Jahns dichte und intensive Sprache, wurde das Buch für mich zu einem wahren Pageturner. Schon nach den ersten Seiten war ich in der Geschichte angekommen und konnte mich ganz auf die Geschichte und die Figuren einlassen. Vor allem haben mich die Beschreibungen der Fluten, des sogenannten „Landunter“ sehr mitgenommen. Erstaunlich, wie die Menschen schon immer mit dieser Gefahr lebten und leben.
Julia Kröhn, alias Klara Jahn, hat akribisch über die Geschichte der Halligen recherchiert und bringt ihre Entstehung, ihre Geschichte, ihre Bewohner und die Lebensweise dem Leser sehr nahe. Man merkt, wie sehr sich die Autorin mit den Halligen verbunden fühlt. Durch die Einstreuung des Dialektes wurden die Menschen noch lebendiger und authentischer.

Ein Hauptthema des Buches ist die Suche nach Heimat und das Ankommen im eigenen Leben. Aber auch das Thema Neuanfang steht sehr im Mittelpunkt des Geschehens. Diese Themen wurden von Klara Jahn sehr gut beschrieben.

» Welche Farbe der Wind selbst wohl hat?, überlegte Ellen. Grau war zu alt für diesen frischen Sturm, Gelb zu giftig für das dumpfe Dröhnen, Blau zu banal. Rot war zu warm, Braun lies an Rost denken, der Sturm aber verweilte nirgendwo, um welchen anzusetzen. Als weißes Nichts erschien er ihr auch nicht. Vielleicht war er silbrig wie der Klang einer Panflöte.« [S. 39, Z. 1 – 7]

Fazit: Ein Buch mit tollen Figuren, einer sehr dichten Atmosphäre und einer bildhaften und lebendigen Sprache. Sehr empfehlenswert für alle, die das Meer genauso vermissen und sich dort hin entführen lassen möchten. Lesenswert!
Und ja: Irgendwann möchte ich die Halligen auch einmal besuchen.

Hinweis: Das Buch habe ich freundlicherweise vom Heyne-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Glückskinder“

von Teresa Simon

Erschienen am 08.Februar 2021 im Heyne-Verlag
ISBN: 978-3-453-42406-7
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Glueckskinder/Teresa-Simon/Heyne/e564766.rhd

Hinweise:
– Das Buch habe ich als kostenloses Rezensionsexemplar vom Heyne-Verlag erhalten. Ich habe für diese Rezension keinerlei finanzielle Gegenleistungen seitens des Verlages oder der Autorin bekommen. Diese Rezension spiegelt mein persönliches Lese-Empfinden wieder.
– Alle angeführten Zitate beziehen sich auf die Seitenzahn der gedruckten Ausgabe

Das Buch „Glückskinder“ von Teresa Simon erzählt die Geschichte zweier Frauen, die in München nach Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Trümmern und großen Entbehrungen einen Neuanfang suchen.

Coverrechte: Heyne-Verlag

Der Prolog des Buches setzt in Haarlem (Niederlande) im Oktober 1942 an: Eine junge Frau, sie ist Jüdin, muss sich auf dem Dachboden vor den Nazis verstecken. Eine Frau, deren Namen sie nicht kennt, bietet ihr Schutz – doch diese Frau ist kurze Zeit später tot.
Zweieinhalb Jahre später, im April 1945, befindet sich die junge Frau mit dem Namen Griet auf einem Gewaltmarsch vom KZ Giesing in Richtung Wolfratshausen. Sie hat eine schreckliche Zeit hinter sich und ist am Ende ihrer Kräfte. Kurz darauf ist der Krieg zu Ende, Griet und die anderen Frauen werden von Angehörigen der US-Armee befreit. Griets Weg führt sie nach München. Doch große Teile dieser einst prächtigen Stadt liegen in Trümmern.
Währenddessen in München: Hier wohnt die junge Antonia, von allen Toni genannt, mit ihrer Schwester, Mutter, Tante und Cousin bei ihrer Großtante Vev. Die Wohnverhältnisse sind beengt, das Essen ist rar. Tonis Mutter bangt zudem um ihren Mann und ihren Sohn, die irgendwo im Krieg sind.
Als die US-Armee München befreit, dauert es nicht lange, bis die Wohnverhältnisse in der Wohnung noch beengter werden. Eine junge Frau wird bei ihnen einquartiert, Toni und ihre Familie sind voller Vorurteile. Aber auch die junge Frau kann und will ihren eigenwilligen Vermietern nicht trauen.

Teresa Simon ist das Pseudonym der erfolgreichen Autorin Brigitte Riebe. Ich lese, egal ob unter dem Namen Teresa Simon oder Brigitte Riebe, die Bücher der Autorin sehr gerne. Sie packt Geschichte in so wunderbare Romane und erschafft immer wieder wunderbare Figuren, die man so schnell nicht vergisst.
Bisher habe ich alle Bücher unter dem Namen Teresa Simon gelesen, daher wollte ich auch das neue Buch „Glückskinder“ unbedingt lesen.
An dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön an den Heyne-Verlag, die mir das Buch als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben.
Dies ist das erste Buch von Teresa Simon, welches nicht auf zwei Zeitebenen spielt, sondern nur in der Vergangenheit. Anfangs war ich etwas skeptisch, ob mich das Buch genau so begeistern kann, wie die vorherigen Bücher. Ich liebe es sehr, wenn Vergangenheit und Gegenwart in Büchern aufeinandertreffen. Die Skepsis war aber schnell verflogen und ich kam direkt in der Geschichte an.

Griet, eine der Hauptfiguren in „Glückskinder“ ist ein zutiefst verletzter Charakter. Sie verbrachte Monate in Konzentrationslagern, wurde gedemütigt und nicht mehr als Mensch gesehen. All ihre Träume und Wünsche sind nicht mehr.

[…] ‚Wo waren ihre Hoffnungen und Träume? Wo war das Leben, das sie sich als Kind in den schönsten Farben ausgemalt hatte?‘ […]
(Seite 101, Zeilen 12-1)

Doch Griet gibt nicht auf. Auch wenn sie ein großes Geheimnis in sich trägt, kämpft sie sich durch, immer auf der Suche nach sich selbst, einem Neuanfang und ihrem persönlichen Glück. Sie ist in einem Land, deren Bewohner eigentlich ihre Feinde sind, die ihr alles genommen haben. Sie hegt gegen die Deutschen einen tiefen Groll, möchte das Land aber trotz allem erst mal nicht verlassen. Griet empfand ich einen sehr interessanten Charakter, da sie zwar schreckliches erlebt hat, ein großes Geheimnis mit sich führt, sich aber nie aufgibt.

Toni Brandl, ebenfalls eine junge Frau, ist Münchnerin mit Leib und Seele. Hier ist sie aufgewachsen, hat aber auch die Zerstörung ihrer geliebten Stadt miterlebt. Sie richtet sich ihr Leben zwischen Trümmern und Nahrungsmittelknappheit und dem erblühenden Schwarzmarkt ein. Ihr Beruf bei einem Verlag und ihre Familie geben ihr Halt und Zuversicht, auch wenn es in der Wohnung ihrer Großtante Vev sehr beengt ist. Doch als nach Ende des Krieges die junge Griet bei ihnen einquartiert wird, weiß Toni nicht recht, wie sie mit der jungen Frau umgehen soll. Sie und ihre Familie sind zersetzt von Vorurteilen gegenüber Griet. Dabei sind Toni und Griet, die grundverschieden sind, sich ähnlicher als sie sich anfangs zugestehen möchten.

[…] ‚ „Ihr Deutsche beklagt euch über kalte Wohnungen und zu wenig Essen. Was sollen erst die sagen, die ihr in euren KZs gequält und ermordet habt?“ Er räusperte sich. „Vergangenes kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Aber starten Sie wenigstens mit dem Ansatz einer Wiedergutmachung – hier in dieser Wohnung.“ ‚ […]
(S. 241, Z. 28- 30, S. 242 Z. 1-4)

Auch Toni hat mich mit ihrer Charaktertiefe sehr überzeugt, sie ist eine wahre Kämpferin, die ihre Träume und Ziele verfolgt und sich nicht unterkriegen lässt.
Neben Griet und Toni gibt es noch viele Figuren, die eine große Rolle in diesem Buch spielen:
Captain Walker, ein Angehöriger der US-Armee und ein herzensguter Charakter, der immer zur Stelle ist, wenn Hilfe benötigt wird.
Die Familie Brandl, mit Großtante Vev als Familienoberhaupt, Tonis Mutter Rosa, Bibi, Tonis jüngerer Schwester, Tante Annemie Lochner nebst Sohn Benno. Ein bunter Haufen Menschen, die notgedrungen zusammen leben und überleben müssen. Hierbei habe ich Großtante Vev ganz besonders ins Herz geschlossen. Sie ist noch immer respekteinflößend aber trotz Krieg und Zerstörung eine Dame geblieben. Sie ist der Fels in der Brandung für die Menschen um sie herum.
Jede Figur ist lebensecht und authentisch gezeichnet, sie haben alle ihre Eigenheiten und leben ihr Leben in einer schweren und entbehrungsreichen Zeit. Sie machen teilweise große Entwicklungen durch und verändern ihre Sicht- und Denkweisen. Man leidet mit den Figuren mit und sie kommen dem Leser mit ihren Geschichten sehr nah. Und eines treibt alle an: Die Hoffnung auf einen Neuanfang.
Tonis Freund Louis ist ein Charakter, der mir sehr viele Rätsel aufgab und durch das gesamte Buch hindurch schwer zu durchschauen ist. Er hat zudem etwas Geheimnisvolles an sich. Seine persönliche Geschichte ist aber auch äußerst spannend und tragisch, was ihm eine tiefe Charakterzeichnung gibt.
Es spielen noch einige Figuren mehr mit, auf die ich aber nicht näher eingehen möchte, da ich sonst zu viel von der Handlung vorwegnehme.

Die Sprache von Teresa Simon ist, wie auch in den vorherigen Büchern, lebendig und äußerst bildhaft. Sie konnte mich mit den Beschreibungen des zerbombten Münchens und dem Aufbau des Schwarzmarkts in die Handlung mitnehmen. Ich nahm das Buch immer wieder gerne in die Hand und konnte es dann nur schwer wieder zur Seite legen. Von der ersten Seite hat mich das Buch begeistert und ich wurde in die Zeit kurz vor Ende und nach Ende des Zweiten Weltkrieges gezogen.

Der geschichtliche Hintergrund bildet das Ende des Zeiten Weltkrieges mit dem Schwerpunkt München. Gut die Hälfte des Wohnungsbestandes dieser Stadt war vernichtet, die Nahrungsmittel knapp. Doch das Leben musste weitergehen und so entstand der Schwarzmarkt in der Münchener Möhlenstraße. Hier war alles Nötige zu bekommen war, teilweise auch im Tausch gegen andere Güter. Ich fand es sehr spannend zu erfahren, wie dieser Schwarzmarkt damals entstand und wie dort und mit was gehandelt wurde. Er war zwar illegal, wurde aber geduldet und sorgte für einen Großteil der Versorgung der Bevölkerung.
Grausam waren die Beschreibungen, wie es den Menschen in KZs erging und wie sie behandelt wurden. Sie wurden nicht mehr als Menschen gesehen.

Fazit: Das Buch „Glückskinder“ ist ein Buch, welches sehr authentisch die Nachkriegszeit beschreibt. Durch facettenreiche und lebensechte Charaktere bringt uns Teresa Simon die Nachkriegszeit näher und beschreibt sie eindrücklich. Es ist eine Geschichte die zeigt, wie wichtig es ist, Vorurteile zu überwinden und seine Träume und Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Unbedingt lesen!

Hinweis: Das Buch habe ich freundlicherweise vom Heyne-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.


„Grandhotel Odessa – Die Stadt im Himmel“

von Charlotte Roth

Erschienen am 12. Januar 2021 im Droemer-Verlag
ISBN: 978-3426308028
https://www.droemer-knaur.de/buch/charlotte-roth-grandhotel-odessa-die-stadt-im-himmel-9783426308028

Das Buch „Grandhotel Odessa – Die Stadt im Himmel“ von Charlotte Roth ist der erste Teil einer zweibändigen Reihe um ein luxuriöses Hotel in der Stadt Odessa am Schwarzen Meer zwischen 1886 und 1918.

Coverrechte: Droemer-Verlag

Oda Liebenthal wächst im Grandhotel Odessa auf – ein Hotel, welches ihr Vater allen Widrigkeiten zum Trotz gegründet hat.
Als kleines Kind lernt Oda durch ihren Vater die gleichaltrige Belle aus Berlin kennen, die Patentochter ihres Vaters. Den beiden so unterschiedlichen Kindern wird eine Freundschaft geradezu aufgenötigt, diese Freundschaft entwickelt sich über die Jahre dann aber doch noch zu einer Art der Verbundenheit. Odas Vater schätzt Belle sehr, erfüllt ihr alle Wünsche. Seine eigene Tochter Oda scheint für ihn, neben der wunderschönen Belle, wie unsichtbar zu sein. In Oda erwächst das Gefühl, dass ihr Vater Belle viel lieber hat.
Auch an Odas 21. Geburtstag, der im Grandhotel Odessa gefeiert wird, ist Belle mit von der Partie. Oda möchte diesen Tag aber anders nutzen, als alle anderen vermuten: Sie möchte mit ihrer heimlichen Liebe Karel, einem gefeierten Balletttänzer, durchbrennen. Alles ist penibel durchgeplant, Oda möchte endlich ihrem lieblosen Vater, der die Liebe seiner Tochter als nicht standesgemäß erachtet, entfliehen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Doch es kommt anders als geplant: Karel erscheint nicht am vereinbarten Treffpunkt. Enttäuscht und verletzt stürzt sie sich in die Arbeit, um jedem Gast einen unvergesslichen Aufenthalt im Grandhotel Odessa zu ermöglichen.

Ich mag die Bücher von Charlotte Roth sehr gerne und ich warte immer gespannt auf ihre Neuerscheinungen. Charlotte Roth entführt mich mit ihrer intensiven Sprache und starken Charakteren immer wieder in vergangene Zeiten und lehrt mich sehr oft Neues.
Als die Autorin Mitte des Jahres 2020 ihr neues Buchprojekt vorstellte, war mein Interesse gleich geweckt – zum einen wegen des wunderschönen Covers, aber auch wegen des Klappentextes. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg interessiert mich sehr, hier kommt noch ein eher ungewöhnlicher Handlungsort hinzu. Davor hatte ich noch nie etwas über die Stadt Odessa gelesen.
Das Buch habe ich mir direkt am Erscheinungstag gekauft und ein paar Tage später mit der Lektüre begonnen.

Das Buch hat eine Vielzahl von Charakteren, die aber alle facettenreich und liebevoll beschrieben sind. Sie alle haben ihre Eigenheiten und Eigenschaften, gute Seiten, aber auch Schattenseiten.
Oda, die Hauptfigur dieses Werkes, ist ein Charakter, der mir sehr in Erinnerung bleiben wird. Von Anfang an wird klar, dass sie sich von ihrem Vater ungeliebt und zurückgesetzt fühlt. Sie tut sich schwer damit, sich selbst zu mögen, hat Komplexe und vergleicht sich oft mit, der in ihren Augen perfekten, Belle. Doch ihr Herz möchte lieben und so läuft sie direkt in die Arme des begehrten Junggesellen Karel. Er gibt ihr ein Stück Selbstbewusstsein und Stärke zurück. Vom Personal des Grandhotel Odessa, aber auch von vielen Gästen erhält Oda Anerkennung, die sich aber hart erarbeiten muss. Das alles kann die Übergehung von Seiten ihres Vaters nicht ungeschehen machen. Oda möchte in ihrem Leben Eines erreichen: Sie möchte auf der selben Stufe mit ihrem Vater stehen und das Hotel übernehmen.
Belle, ein verträumter Charakter, ist, nicht nur äußerlich, das komplette Gegenteil zu Oda: Ihr scheint im Leben alles zuzufliegen, von allen Seiten bekommt sie Liebe entgegen. Sie bekommt alles im Leben, was sie sich wünscht, ohne dabei etwas zu tun. Aber wer hoch fliegt, kann auch sehr tief fallen.
Philipp Liebenthal, Odas Vater, ist ein Charakter, der es dem Leser/ der Leserin von Anfang an schwer macht, ihn sympathisch zu finden. Es wird schnell klar, dass er für sein Hotel alles Mögliche getan hat, sich allen Widrigkeiten widersetzt hat und ein Kämpfer ist. Sein Umgang mit Oda und auch anderen Menschen, ist aber eher abstoßend und teilweise schwer zu ertragen. Im Laufe der Geschichte, die auch in seine Jugend zurückführt, wird aber auch einiges klar und sein Verhalten nachvollziehbarer.
Es gibt neben diesen Hauptfiguren noch eine Vielzahl an Charakteren, die mich alle mit ihren Lebensgeschichten und ihrer tiefen Charakterzeichnung überzeugt haben. Da wäre zum Beispiel der Balletttänzer Karel zu nennen. Er scheint in seinem Leben angekommen zu sein, ist aber eigentlich eine gequälte Seele. Er traut sich nicht, Wahrheiten auszusprechen, wird von vielen nicht für voll genommen und scheitert dann an seinen Entscheidungen.
Die russische Fürstin Lidija Petrowna, die für Oda eine enge Vertraute wird, findet ihren Platz in der Geschichte und spricht vieles direkt aus, was andere sich nicht trauen. Ein Charakter, den man einfach gerne haben muss.
Eine andere Figur, die am Rande mitspielt, aber trotzdem wichtig ist die Kaltmamsell Katjuša. Sie wird mir mit ihrem Schicksal in Erinnerung bleiben.
Viele Charaktere erscheinen erst wenig, ihre Geschichte wird dann aber rückblickend wichtig und unentbehrlich für weiteren Verlauf der Geschichte. Sie alle agieren lebensecht und fügen sich perfekt in die Geschichte ein.

Die Handlung findet größtenteils in der Stadt Odessa statt. Aber auch Berlin und Rom sind wichtige Handlungsorte. Später im Buch wird auch von der Kriegsfront berichtet.
Das Buch beginnt 1893 in Odessa, springt dann vor in das Jahr 1910 und von da zurück in das Jahr 1886. Diese Erzählstränge werden nach und nach gekonnt miteinander verflochten. Viele Fragen werden mit Begebenheiten aus der Vergangenheit beantwortet und damit einiges klarer, was der Leser vorher nicht zuordnen konnte.
Charlotte Roth hat sich der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges angenommen und erzählt über eine Zeit, die mit dem Ersten Weltkrieg untergegangen und nie wieder zurückgekehrt ist. Eine Epoche, in der alles möglich war und der Luxus in vollen Zügen genossen werden konnte.
Den Alltag eines Luxushotels zu dieser Zeit hat Charlotte Roth perfekt recherchiert und sie nimmt uns mit in dieses Hotel. Für eine kurze Zeit wurde dieses Hotel auch mein Zuhause.
Die Siedlungen rund um Odessa waren Siedlungen der sogenannten ‚Schwarzmeerdeutschen‘. Odas Familie stammt aus einer dieser Familien, die das Bild Odessas prägten.

Ab der ersten Seite konnte mich Charlotte Roth mit in ihre Geschichte nehmen. Ihre intensive und bildhafte Sprache ließen den Handlungsort, die wunderbare Stadt Odessa und das Luxushotel, vor meinen Augen lebendig werden.
Ich konnte das Buch teilweise sehr schwer aus der Hand legen, da gerade zum Ende hin, alle Fäden zusammenlaufen.
Und: Ich habe ein weiteres Reiseziel gefunden: Irgendwann möchte ich auch mal nach Odessa reisen. Irgendwann…

Fazit: Ein opulentes Buch, welches mich sehr gut unterhalten hat. Starke und facettenreiche Charaktere, ein perfekt recherchierter geschichtlicher Hintergrund und eine intensive und bildhafte Sprache machen dieses Buch zu einem wahres Erlebnis. Absolut lesenswert!

Hinweis: Das Buch habe ich mir selbst gekauft. Es gab für diese Rezension keine Gegenleistung des Verlages oder der Autorin.

„Die Schokoladenvilla – Zeit des Schicksals“

von Maria Nikolai

Erschienen am 12. Oktober 2020 im Penguin-Verlag
ISBN: 978-3-328-10407-0
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Die-Schokoladenvilla-Zeit-des-Schicksals/Maria-Nikolai/Penguin/e544571.rhd

Hinweise:
– Bitte lest diese Rezension nicht, wenn ihr die ersten beiden Teile der Reihe noch nicht gelesen habt, es besteht sonst Spoiler-Gefahr!
– Meine Rezensionen zu den ersten beiden Teilen findet ihr hier:
„Die Schokoladenvilla“
„Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre“

– Alle angegebenen Zitate beziehen sich auf die Seitenzahl der gedruckten Ausgabe
– Das Buch habe ich freundlicherweise vom Penguin-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar erhalten, dies hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

Das Buch „Die Schokoladenvilla – Zeit des Schicksals“ von Maria Nikolai ist der dritte Teil um die Familie Rothmann/ Rheinberger, die in Stuttgart während der 1930er Jahre um ihre Schokoladenfabrik kämpfen muss.

Coverrechte: Penguin-Verlag

Anfang Juni 1936: Viktoria, die Tochter von Judith und Victor, weilt in Frankreich. Dort ist sie eine gefragte Chocolatière und sie geht völlig in ihrer Arbeit auf. Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Victor, erreicht sie aus ihrer Heimatstadt Stuttgart einen Hilferuf ihrer Mutter Judith. Victoria macht sich auf den Weg, um ihrer Mutter beizustehen und zusammen mit ihr die Schokoladenfabrik Rothmann zu führen. Doch das neue Regime in Deutschland duldet das ‚Mutter-Tochter-Gespann‘ absolut nicht an der Spitze eines Unternehmens. Der Familie droht der Verlust ihres Lebenswerkes.
Da taucht plötzlich der Amerikaner Andrew Miller auf. Er zeigt der Familie einen Ausweg aus ihrer Misere und bringt das komplette Leben, vor allem von Victoria, gehörig durcheinander.
Währenddessen befürchtet Judith, dass ein lang gehütetes Familiengeheimnis ans Licht kommen könnte und damit alles Dagewesene in Frage stellt.


Vor zwei habe ich den ersten Teil „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai gelesen. Vor einem Jahr dann den zweiten Teil „Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre“. Ich freute mich schon seit einiger Zeit auf den dritten Teil, da ich unbedingt wissen wollte, wie es mit der Familie Rothmann/ Rheinberger weitergeht. Endlich konnte ich das Buch in den Händen halten.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Penguin-Verlag, für die Zusendung des Buches als Rezensionsexemplar.

Seit dem ersten Teil sind mir die Charaktere sehr ans Herz gewachsen. Da immer einige Jahre nach dem Ende des vorherigen Bandes zum Anfang des neuen Bandes vergangen sind, bekommt man einen sehr breiten Einblick in das Leben der Charaktere.
Judith, zu Beginn des ersten Teils noch eine junge Frau, im zweiten Teil eine liebende Mutter, aber auch gute Geschäftsfrau, im dritten Teil eine trauernde Witwe, die um das Lebenswerk der Familie bangt. Aber eines begleitet Judith in allen drei Bänden: Die Leidenschaft für Schokolade und die tiefe Liebe und Verbundenheit zu ihrer Familie. Sie ist der Anker der Familie und immer für andere da. In diesem letzten Teil muss sie aber auch lernen, Hilfe anzunehmen. Die Hilfe, die sie Jahre zuvor jedem zu Teil gelassen hat, bekommt sie nun zurück, sie muss nicht alleine kämpfen. Auch wenn Victor nicht mehr da ist, ist er trotzdem noch sehr präsent. Immer wieder erinnert sich Judith liebevoll an die glücklichen Zeiten mit ihm.
Ihre Tochter Victoria hat sehr viel von ihrer Mutter: Sie lässt sich nicht unterkriegen und kämpft für ihre Träume und Ideen. Immer wieder wird sie sich dem plötzlichen Verlust des Vaters bewusst, aber auch ihrer Verantwortung gegenüber ihrer Mutter.
Als der Amerikaner Andrew Miller Victoria kennenlernt, erkennt er schnell eine Tatsache, mit der er sich auch auseinander setzen muss. Er führt zwar auch eine Süßwaren-Fabrik in New York, sein Großvater traut ihm aber nicht viel zu. Ähnlich ist bei Victoria: Auch sie stößt mit ihren Ideen und Vorschlägen des Öfteren mit ihrer Mutter Judith zusammen.

„Andrew erkannte eine unerwartete Gemeinsamkeit zwischen Viktoria und sich selbst. Es schien das Los jener zu sein, die aus der Familie heraus in die Unternehmensnachfolge eintraten, dass sie zu lange als Kind betrachtet wurden.“
[S. 161 Z. 24 – 28]

Andrew ist ein Charakter, der anfangs sehr schwer zu durchschauen ist: Einerseits wirkt er bedrückt, die Reise nach Deutschland ist für ihn sehr wichtig. Da er aber auch nicht immer alles erzählt, umgibt ihn etwas geheimnisvolles.
Viele Charaktere kennt der Leser schon aus den vorherigen Bänden, zum Beispiel Judiths Zwillingsbrüder Anton und Karl und Victorias großer Bruder Martin. Serafina, die im zweiten Teil die Hauptrolle spielte, kommt auch in diesem Teil wieder vor. Es fühlte sich wunderbar an, diese vielfältigen und liebenswerten Charaktere wieder zu treffen, sie wieder ein Stück in ihrem Leben zu begleiten. Alle Charaktere agieren authentisch, sie haben ihre Ecken und Kanten. Sie sind alle an ihrem Leben und an ihren Aufgaben gewachsen, aus Kindern sind Erwachsene geworden.
Es gibt auch weniger gute Charaktere, die aber auch einen großen Teil der Geschichte mittragen.

Von der ersten Seite an war ich wieder in der Geschichte angekommen. Zum einen, weil es sich wie ein ‚nach Hause kommen‘ angefühlt hat, zum anderen aber auch durch die wunderbare bildhafte Sprache von Maria Nikolai. Auf keiner Seite kam Langeweile auf. Als Leser/in merkt man, wie sehr die Autorin ihre Geschichte, aber auch ihre Charaktere und das Thema liebt.
Ich habe wieder einiges zum Thema Schokoladenherstellung dazu gelernt. Ein wunderbares, süßes Lesevergnügen.
Maria Nikolai lässt ihre Charaktere vor einem gut recherchierten geschichtlichen Hintergrund agieren und nimmt den Leser damit mit auf eine Zeitreise. Durch die liebgewonnen Charaktere wird Geschichte leicht zugänglich und einfühlsam erzählt. Auch wenn die Zeit, in der das Buch spielt, alles andere als schön war, versprüht das Buch eine Leichtigkeit, ohne aber kitschig zu sein. Die Charaktere leben ihr Leben in einer Zeit, als alle bisherigen Werte und Ansichten in Frage gestellt wurden. Hitler an der Macht, der drohende Krieg, Judenhass, drohende Enteignung und Emigration: Die Familie Rothmann/ Rheinberger nimmt die großen Themen dieser Zeit mit und der Leser erlebt sie durch die Charaktere hautnah.

War das wirklich die Zukunft? Die völlige Unterdrückung durch ein Regime, das jede Menschlichkeit vermissen ließ?“
[S. 220, Z. 22 – 23]

Ein zentrales Motiv in diesem Buch ist die Vergebung von Schuld. Wie und wann kann man Menschen vergeben? Und kann man das überhaupt?

Fazit: Das Buch „Die Schokoladenvilla – Zeit des Schicksals“ ist ein wunderbarer Abschluss einer Trilogie, die mich seit dem ersten Teil in ihren Bann gezogen hat. Mit Wehmut denke ich, dass ich die lieb-gewonnen Charaktere nun nicht weiter begleiten kann. Bild-gewaltig, mit vielen Details und einem tollen Nachwort der Autorin. Ganz wunderbar. Eine wertvolle, lesenswerte Buchreihe. Danke an Maria Nikolai für die wunderbaren und lehrreichen Lesestunden.

Hinweis: Das Buch habe ich freundlicherweise vom Penguin-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Fräulein Gold – Scheunenkinder

von Anne Stern

Erschienen am 13. Oktober 2020 im Rowohlt-Verlag
ISBN: 978-3-499-00429-2
https://www.rowohlt.de/paperback/anne-stern-fraeulein-gold-scheunenkinder.html

Hinweise:
– Lest diese Rezension bitte nicht, wenn ihr Teil 1 „Fräulein Gold – Schatten und Licht“ noch nicht kennt
– Meine Rezension zum ersten Teil findet ihr hier.
– Alle Zitate beziehen sich auf die Seitenzahl der gedruckten Ausgabe.
– Das Buch habe ich freundlicherweise vom Rowohlt-Verlag als Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

Das Buch „Fräulein Gold – Scheunenkinder“ von Anne Stern ist der zweite Teil einer Trilogie um die Hebamme Hulda Gold, die im Berlin der 1920er Jahre auf der Spur eines unvorstellbaren Verbrechens an Kindern ist.

Coverrechte: Rowohlt-Verlag

Im Oktober 1923 ist für Hulda Gold noch fast alles beim Alten: Noch immer wohnt sie am Winterfeldtplatz, der Kioskverkäufer Bert bildet ihren Fels in der Brandung, ihr Ex-Freund Felix bereitet ihr nach wie vor Kummer und Kommissar Karl North, Huldas neue Beziehung, ist für sie nicht der sicherer Hafen.
Da wird Hulda zu einer Geburt ins Scheunenviertel nach Mitte gerufen. Dort entbindet sie Tamar, die mit ihrem jüdischen Ehemann und ihren Schwiegereltern im Elend wohnt, von einem gesunden Sohn. Doch wenige Tage später verschwindet das Neugeborene und Hulda beginnt ihre Nachforschungen und ist einem furchtbaren Verbrechen auf der Spur.
Karl North, Huldas Freund, steht vor einem großen Fall: Er bekommt es mit Kinderhändlern zu tun und Hulda ahnt, dass es einen Zusammenhang mit dem Verschwinden des Neugeborenen geben könnte.
Kurze Zeit später ist die Inflation auf dem Höhepunkt. Angefacht von rechten Gedankengut wird das Scheunenviertel gestürmt, der Judenhass entlädt sich in einem Pogrom und Hulda selbst gerät als Halbjüdin in große Gefahr.

Im Mai 2020 habe ich den ersten Teil der Reihe um Hulda Gold gelesen und war von diesem starken Charakter sehr angetan. Außerdem empfinde ich die Mischung aus Historie und Krimi sehr interessant. Damit war klar, dass ich den zweiten Teil auch direkt lesen wollte.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Autorin Anne Stern, die mit ein Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Verlag vermittelte und auch an den Rowohlt-Verlag für die Zusendung des Buches.

Hulda Gold ist für mich ein äußerst faszinierender Charakter – sie gehört zu den interessantesten fiktiven Charakteren, die ich in meiner Leselaufbahn kennenlernen durfte. Nach außen hin wirkt sie taff und selbstsicher, ist ihrem Beruf eine Konifere und damit die Rettung vieler Frauen und Neugeborenen. In ihrem Inneren sieht es aber anders aus: Sie hadert mit ihrem Leben, mit ihrem Beruf, mit ihrer Liebe und auch mit ihrem Leben. Beruflich hat sie ihren Platz gefunden, privat sieht es da eher weniger nach aus. Ihre vergangene Liebe zu Felix, ihre aktuelle Liebe zu Karl – sie möchte eine Beziehung, fühlt sich jedoch schnell eingeengt. Sie liebt das Feiern, sie ist aber auch gerne mit sich alleine.
Trotz aller Selbstzweifel, eines ist sie immer: Eine starke Frau, die für ihre Überzeugungen und gegen das Unrecht gegenüber anderen Menschen vorgeht. Leider vergisst sie sich dabei oft selbst und bringt sich damit oft in gefährliche Situationen.
Hulda ist ein sehr authentisch gezeichneter Charakter, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Huldas Freund Karl, der im Waisenhaus ohne Liebe und Zuwendung aufgewachsen ist, tut sich schwer damit, für Hulda ein Fels in der Brandung zu sein. Auch er hadert mit sich selbst, fühlt sich schnell zurückgesetzt und redet sich selbst gerne klein.

Nun, dachte er grantig, während er Hulda ungeduldig zuwinkte, die über die Pfützen am Straßenrand stakste, vielleicht war eigentlich er es, der über sich selbst so hart urteilte. Doch wie hätte er auch lernen sollen, sich selbst zu mögen? Aufgewachsen in einem lieblosen Heim für Waisenkinder, in der täglichen Angst vor Schlägen und dem Wissen, dass seine Eltern ihn ihrer Fürsorge nicht für würdig gehalten hatten. Nein, er hatte als Kind und als junger keinen Grund gehabt, an sich zu glauben, und heute, da er erwachsen war, ein Mann mit einem angesehenen Beruf und einer hübschen Freundin, schien er dies nicht mehr lernen zu können. [S. 161 Z. 13- 24]

Er wirkt oft sehr kalt und emotionslos – kennt man aber seine Vergangenheit wird klar, warum er so ist. Karl hat in seinem Leben nichts geschenkt bekommen, er hat sich alles selbst erarbeitet.

Es gibt eine Vielzahl an Figuren in diesem Buch, die aber alle mit ihren vielen Facetten überzeugen konnten. Unbedingt zu nennen ist der Zeitungsverkäufer Bert: Schon im ersten Teil ein liebenswerter Mensch, nun erfährt man in diesem Teil ein wenig mehr über ihn. Er ist für Hulda ein väterlicher Freund, zu dem sie immer wieder kommen kann. Er sagt ihr Sachen, die sie nicht unbedingt hören möchte, die sie dann aber doch weiter bringen. Er ist immer für Hulda da.
Frau Wunderlich, Huldas Vermieterin, muss man einfach lieb haben, Auch wenn sie Hulda kontrolliert, sie möchte nur das Beste für sie und sorgt sich beständig um Hulda.
Auch Nebenfiguren wie die Apothekerin Jette oder Tamar, haben mich mit ihren fein gezeichneten und liebenswerten Charakteren sehr überzeugt.
Die Figuren in dem Buch „Fräulein Gold – Scheunenkinder“ sind wie ein bunter Blumenstrauß: Vielfältig, farbenprächtig und jede Figur hat ihren Platz. Einige Charaktere mochte ich nicht direkt, nachdem man aber ihre Geschichte erfahren hat, konnte ich vieles an ihrem Verhalten verstehen.

Ab dem ersten Kapitel konnte ich wieder tief in die Geschichte abtauchen. Anne Stern hat eine wunderbare, detaillierte, bildgewaltige und flüssige Sprache, die auf keiner Seite Langeweile aufkommen lässt. Sie beschreibt Menschen, Gerüche und Geräusche so, dass ich völlig in das Berlin der 1920er Jahre abtauchen konnte.

„Eine nächtliche Bahn fuhr über ihrem Kopf durch den dunklen Himmel. Metall kreischte auf Metall, langgezogen und jammernd – der fortwährende Gesang der Großstadt, der niemals verstummte.“ [S.120, Z. 27 – 30]

Die Handlung des Buches konnte mich, wie auch schon im ersten Teil, wieder überzeugen: Hulda, die Unrecht sieht, erkennt und dagegen vor geht. Auch wenn sie sich damit in Gefahr bringt.
Sehr mitgenommen hat mich die Geschichte um die Kinder, die Kinderhändlern in die Hände fallen. Anne Stern beschreibt das Grauen, sie zeigt es aber nicht in jeder Einzelheit.
Sehr beeindruckt hat mich, wie die Autorin das Scheunenviertel, welches im Jahr 1933 zerstört wurde, vor den Augen des Lesers wieder lebendig werden lässt. Enge, dunkle Wohnungen, aber auf den Straßen tobte das bunte Leben.

Ein großes Thema in „Fräulein Gold – Scheunenkinder“ ist die Inflation, die im Jahr 1923 ihren Höhepunkt erreichte. Die Menschen mussten das Geld säckeweise zum Einkaufen mitnehmen und bekamen trotzdem fast nichts mehr für ihr Geld. Unzufriedenheit und Wut waren die Antwort der Bevölkerung. Diesen Unfrieden nutzten Hetzer, um gegen die „reichen Juden“ zu wettern. Das Scheunenviertel wurde im November 1923 Ziel eines Pogroms: Häuser und jüdische Geschäfte wurden zerstört, Menschen gejagt und verletzt oder getötet. Die Bevölkerung hatte endlich einen Sündenbock gefunden, die Presse spielte das Pogrom gehörig runter.
Es war erschreckend zu lesen, wie leicht es den Hetzern fiel, Gift zu versprühen und auf welch fruchtbaren Boden ihre Saat gefallen und aufgegangen ist.
Spannend fand ich, dass die Autorin viel über den Alltag in jüdischen Familien geschrieben hat. Ich habe viel Neues über Feste und Rituale des Judentums gelernt.
Ein weiteres Thema ist, wie sich die Geburten in dieser Zeit verändert haben: Waren Hausgeburten noch einige Jahre zuvor ganz selbstverständlich, wurde freien Hebammen das Leben immer schwerer gemacht. Geburten in Kliniken und damit unter ärztlicher Aufsicht gewannen immer mehr an Bedeutung.

Fazit: Das Buch „Fräulein Gold – Scheunenkinder“ ist eine lesenswerte Fortsetzung der Reihe um die Hebamme Hulda Gold. Mit einer bildgewaltigen, detaillierten Sprache und einer packenden Handlung bringt uns das Buch zurück in das Berlin von 1923. Unbedingt lesen! Danke an Anne Stern für die unterhaltsamen, aber auch lehrreichen Lesestunden.

Das Buch habe ich freundlicherweise vom Rowohlt-Verlag als Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Weihnachten am Ku’damm“

von Brigitte Riebe

Erschienen am 13. Oktober 2020 im Wunderlich-Verlag
ISBN: 978-3-8052-0073-8
https://www.rowohlt.de/pappbilderbuch/brigitte-riebe-weihnachten-am-ku-damm.html

Hinweise:
– Alle angeführten Zitate beziehen sich auf die gedruckte Ausgabe.
– Meine Rezensionen zu den Teilen findet ihr hier:
Teil 1 „Die Schwestern vom Ku’damm: Jahre des Aufbaus“
Teil 2 „Die Schwestern vom Ku’damm: Wunderbare Zeiten“
Teil 3 „Die Schwestern vom Ku’damm: Tage der Hoffnung“

Das Buch „Weihnachten am Ku’damm“ von Brigitte Riebe spielt während des Jahrhundertwinters 1946/1947 in Berlin und ist damit ein kleines Zusatzbuch zu der 50er-Jahre-Trilogie um die Familie Thalheim.

Coverrechte: Rowohlt-Verlag

Das Buch beginnt am 17. Dezember 1946: Berlin liegt, zwei Jahre nach Ende des Krieges, noch immer in Schutt und Asche. Aber nicht nur das belastet die Bevölkerung, auch eine ungewöhnliche Kälte stellt die Menschen vor große Herausforderungen.
Das ‚Modehaus Thalheim‘, einst ein prächtiges und modernes Kaufhaus ist nur noch eine Ruine, Rike führt das Modehaus in einem kleinen düsteren und kalten Ladengeschäft provisorisch weiter. Vom früheren Glanz ist nichts mehr zu spüren.
Kurz vor Weihnachten kochen bei allen Mitgliedern der Familie Thalheim die Emotionen hoch: Jeder möchte ein schönes Weihnachtsfest, Florentine besteht auf einen Weihnachtsbaum. Doch ein opulentes Weihnachtsfest ist für die Familie Thalheim in weiter Ferne.
Da findet Rike einen kleinen Jungen vor der Ladentür. Er heißt Erich und ist der Sohn von Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten. Erich erkrankt schwer und die drei Thalheim-Schwestern Rike, Silvie und Florentine sind sich in einem einig: Er soll ein wunderschönes Weihnachtsfest bekommen, egal wie.

Ich habe die 50er-Jahre-Trilogie von Brigitte Riebe, die in den Jahren 2018, 2019 und 2020 erschien sehr gerne gelesen und war nach dem dritten Teil sehr traurig, dass die Reihe beendet war. Die vielfältigen Charaktere der Familie Thalheim sind mir sehr ans Herz gewachsen.
Als Brigitte Riebe ankündigte, dass es noch mal eine kleine zusätzliche Geschichte über die Familie Thalheim geben sollte, war ich sehr glücklich und es war klar, dass ich dieses Buch direkt lesen wollte.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Wunderlich-Verlag (Rowohlt), die mir ein Exemplar als kostenloses Rezensionsexemplar zugeschickt haben.

Was habe ich die Familie Thalheim vermisst: Ein bunter Haufen Menschen, alle mit Ecken und Kanten. Sie streiten sich, sie lieben sich und sie sind immer füreinander da.
In dieser Geschichte kommt man ihnen allen noch einmal näher und spürt, wie sehr sie sich nach den vergangenen Zeiten sehnen, wie ihnen ihre Villa, aber auch ihr ‚Modehaus Thalheim‘ fehlen.
Rike ist die Vernünftige, Silvie das Herz und Flori ist die Künstlerin in der Familie. Aber auch Miri, eine gute Freundin der Thalheims, trägt ihren Teil zu dieser Familie bei. Das Familienoberhaupt Friedrich, seine Frau Claire und sein Bruder Carl: Alles Charaktere, die man einfach gerne haben muss.
Erich, ein kleiner Junge, den Rike halb erfroren vor ihrem Ladengeschäft findet, erobert das Herz der Familie Thalheim, aber auch des Lesers im Sturm. Ein kleiner Junge, dem seine Kindheit geraubt wurde, er versprüht aber trotzdem eine solch ansteckende Lebensfreude. Seine Geschichte und die seiner Eltern sorgte bei mir für Gänsehaut. Flucht und Vertreibung, die Heimat für immer verloren und nirgendwo wurde man gerne gesehen.

Was haben wir unseren Kindern mit diesem furchtbaren Nazi-Regime, mit Krieg, Bomben, Hunger, Flucht und Vertreibung nur angetan? Die Kindheit haben wir Ihnen gestohlen, ihre jungen Leben ruiniert! Das ist nicht vorbei, sobald man die weiße Flagge hisst, sondern eine Schuld, die schwer auf uns allen lastet. Noch Generationen nach uns werden damit zu kämpfen haben…“
[S. 52, Z. 9-15]

Brigitte Riebe beschreibt ihre Charaktere mit einer beeindruckenden Tiefe und Authentizität, auch die weniger guten Figuren.

Die Sprache von Brigitte Riebe ist detailliert, dabei aber niemals langatmig oder gar langweilig. Sie beschreibt diesen furchtbaren Winter, die Heimatlosigkeit aber auch den Mut und die Zuversicht der Menschen zu dieser Zeit einfühlsam aber auch ungeschönt.
Die Hoffnung auf ein schönes Weihnachtsfest, der Wille, die Stadt wieder aufzubauen und der Glaube, dass alles wieder gut wird – all das beinhaltet dieses Buch. Es geht sehr ans Herz, stellenweise machte es mich sehr traurig, aber die Hoffnung der Menschen überwog und war sehr spürbar .

Wie schon erwähnt, ist das große Thema in diesem Buch der Jahrhundertwinter, der ‚Hungerwinter‘ in den Jahren 1946/1947: In diesem Winter gefror das Wasser in den Leitungen, der Mangel an Heizmaterial ließ viele Menschen in ihren Betten erfrieren. Allein in Deutschland erfroren mehrere hunderttausend Menschen, die durch die Mangelernährung sehr geschwächt waren. In der Sowjetunion starben in den Jahren 1946 bis 1948 etwa zwei Millionen Menschen in der Folge von Hunger und den extremen Wetterbedingungen.
Ein anderes Thema ist die Vertreibung und Flucht aus den ehemaligen Ostgebieten. Diese Menschen kamen mit einem Koffer und den Sachen, die sie am Leib trugen an. Auch sie mussten versorgt werden und wurden in Wohnungen einquartiert, in denen noch andere Familie wohnten. Viele wollten das nicht und stellten sich gegen die Flüchtlinge und machten ihnen das Leben noch schwerer.
Flucht und Vertreibung: Ein (leider) nach wie vor aktuelles Thema.

Fazit: Das Buch ist mit 158 Seiten sehr übersichtlich, geht aber mit einer sehr intensiven Geschichte ans Herz. Es ist unvorstellbar, was die Menschen durchmachen mussten. Mich hat es sehr berührt, dass es aber auch zu dieser Zeit Hoffnung gab und Menschen, die nicht weggeschaut haben.
Danke Brigitte Riebe, dass ich noch einmal zu der Familie Thalheim zurück kehren durfte.

Das Buch habe ich freundlicherweise vom Rowohlt-Verlag als Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre“

von Maria Nikolai

Erschienen am 14. Oktober 2019 im Penguin-Verlag
ISBN: 978-3328104063

Hinweise:
– Das Buch ist der zweite Teil der Reihe „Die Schokoladenvilla“
– Lest diese Rezension bitte nicht, wenn ihr den ersten Teil noch nicht kennt.
– Meine Rezension zum ersten Teil findet ihr hier.

Das Buch „Die Schokoladenvilla – Goldene Jahre“ von Maria Nikolai ist der zweite Teil um die Familie Rothmann, die in Stuttgart im Jahre 1926 mit ihrer Schokoladenfabrik vor große Herausforderungen gestellt werden.

Coverrechte: Penguin-Verlag

Das Buch beginnt mit der Handlung einige Jahre nach dem Ende des ersten Teils.
Es ist das Jahr 1926: Wir lernen die junge Serafina kennen, die zu ihrem Halbbruder Victor von Berlin nach Stuttgart zieht. Dort erwartet sie das prächtige Familienanwesen, eine Villa, die alle „Die Schokoladenvilla“ nennen. Ihre Wurzeln zu Berlin kann sie nie ganz vergessen, so richtig heimisch fühlt sie sich nicht.
Mit ihrer Abenteuerlust und ihrem Charme erobert sie sofort die Herzen der Familie Rothmann, aber auch von Anton, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Doch Anton ist auf dem besten Weg, sich mit einer anderen Frau zu verloben.
Währenddessen läuft es für Judith und Victor in ihrer Schokoladenfabrik nicht ganz rund: Maschinen werden sabotiert und damit steht die Produktion und ihr gesamtes Lebenswerk auf dem Spiel.
Da taucht ein dunkles Kapitel aus Serafinas Vergangenheit auf, welches sie eigentlich für immer vergessen wollte…

Vor etwa einem Jahr habe ich den ersten Teil „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai mir großer Begeisterung gelesen. Ich liebe Schokolade, und wenn es dann noch einen historischen Roman gibt, der von dieser süßen Versuchung handelt, muss ich dieses Buch einfach lesen.
Klar, dass ich auch den zweiten Teil direkt lesen wollte und meine Vorfreude auf die Fortsetzung war enorm. Und erst die Freude, als ich das Buch endlich in den Händen halten konnte.

Das Cover ist mal wieder ein absoluter Hingucker. Verspielt und mit leichtem Glitzer-Effekt auf Vorder- und Rückseite, dazu im Hintergrund die Villa, die schon im ersten Teil eine Art zuhause wurde.

Ich hatte auch keine Probleme, wieder in die Handlung zu finden, sie zog mich ab der ersten Seite wieder in ihren Bann.
Maria Nikolai hat einen sehr detaillierten Schreibstil, der aber niemals langweilig wird. Man merkt, wie sehr sie recherchiert hat und sich auch in Stuttgart auskennt. Für mich war Stuttgart nie die interessanteste Stadt, durch ihre Bücher bin ich der Stadt doch etwas näher gekommen. Auch zum Thema „Schokoladenproduktion“ hat sie wieder akribisch recherchiert und hat mir so einiges an neuem Wissen vermittelt.

Da doch einige Jahre nach dem Ende des ersten Teils und dem Beginn des zweiten Teil vergangen sind, konnte man die Charaktere noch einmal fast neu kennen lernen. Sie alle haben sich weiter entwickelt, vor allem die kleinen Zwillingsbrüder von Judith.
Victor hat sich zusammen mit Judith zu einem guten Gespann entwickelt, die mit viel Engagement und Wissen ihre Schokoladenfabrik führen und gut zusammen arbeiten, privat aber auch ein gutes Team bilden.
Mit Serafina hat dieser Teil eine neue Hauptfigur, die mich sehr begeistert hat. Schon auf den ersten Seiten wirkt sie sympathisch, auch wenn sie ein Geheimnis zu umgeben scheint.
Alle Charaktere in diesem Buch handeln und agieren authentisch, sie wirken absolut lebensecht. Mit ihren Figuren hat Maria Nikolai das Leben in Stuttgart im 20. Jahrhundert sehr gut eingefangen und lässt es vor den Augen des Lesers lebendig werden.

Fazit: Eine wunderbare Fortsetzung, die dem ersten Teil in Nichts nachsteht. Die sympathischen und lebensechten Charaktere sind in einen akribisch recherchierten Hintergrund eingebettet, der mich sehr fasziniert hat. Ein Buch, welches den Alltag vergessen lässt. Ich freue mich sehr auf den dritten Teil, der im Oktober 2020 erscheinen soll.

„Das Winterkarussell“

von Anna Liebig

Erschienen am 21. September 2020 im Blanvalet-Verlag
ISBN: 978-3734108877
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Das-Winterkarussell/Anna-Liebig/Blanvalet/e563048.rhd

Das Buch „Das Winterkarussell“ von Anna Liebig ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen vom Zauber eines alten Karussells auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt erzählt und von Verlust und Liebe handelt.

Coverrechte: Blanvalet-Verlag

Wiesbaden im Jahre 1990: Die 15jährige Antonia hat sich nach dem frühen Tod des Vaters mit ihrer Mutter das Leben neu eingerichtet. Die beiden wohnen in einer kleinen Altbauwohnung und Antonias größte Sorge ist eine erneute 5 in einer Mathematikarbeit.
Doch da verunglückt ihre Mutter tödlich, durch diesen erneuten Verlust verliert Antonia ihren Lebensmut, sie ist nun ganz alleine. Da taucht unverhofft ihr völlig unbekannter Großvater Otto auf, ein mürrischer alter Mann, der nichts von seiner Tochter und damit auch nichts von seiner Enkeltochter Antonia weiß. Antonia zieht zu ihm in das abgelegene Dorf Finsternthal, einem kleinen Dorf im Taunus. Dort entdeckt sie in der Scheune ein altes Karussell. Dieses Karussell scheint für Otto eine große Bedeutung zu haben, denn auch sein Leben ist von großen Verlusten geprägt.
Frankfurt am Main im Jahre 1938: Otto, sein Bruder Gustav und der Vater sind als Schausteller mit ihrem Karussell auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt. Ganz unverhofft tritt plötzlich die junge Lene in Ottos Leben.

Hinter dem Pseudonym Anna Liebig ist die Autorin Nicole Steyer zu finden, die auch unter ihrem richtigen Namen lesenswerte Historische Romane veröffentlicht hat. Unter den weiteren Pseudonymen ‚Linda Winterberg‘ und ‚Anke Petersen‘ hat sie einige Historische Reihen und Einzelbücher veröffentlicht, die ich mit großer Begeisterung gelesen habe. Als die Autorin „Das Winterkarussell“ in den Sozialen Medien ankündigte und damit auch ein neues Pseudonym war mein Interesse durch das wunderschöne Cover direkt geweckt.
Ich meldete mich beim ‚Bloggerportal Randomhouse‘ für ein Rezensionsexemplar und erhielt dieses.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Blanvalet-Verlag für die Zusendung des Buches als Rezensionsexemplar.

Das Buch konnte mich direkt von den ersten Seiten an in seinen Bann ziehen. Im ersten Kapitel lernen wir Antonia kennen, ein typischer Teenager, die sich Sorgen um die Reaktion ihrer Mutter macht, weil sie wieder eine 5 in Mathe kassiert hat.
Als Antonia ihre Mutter gehen lassen muss, zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie fällt und schafft es fast nicht mehr alleine hoch. Immer wieder überfällt sie tiefe Trauer, ihre Erinnerungen gehen zurück, als sie mit ihren Eltern noch ein glückliches, unbeschwertes Leben führen durfte. Doch diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei, auch wenn sich Antonia noch so sehr die Vergangenheit zurück sehnt. Als sie dann ihren Großvater trifft, merkt sie sofort, dass auch er von Verlusten geprägt ist. Die beiden finden mit dieser Gemeinsamkeit zueinander und bauen sich damit gegenseitig wieder auf. Antonia ist ehrgeizig und voller Elan. Antonias Elan springt auf ihren Großvater über, aber nicht nur auf ihn. Auch andere Dorfbewohner zeigen plötzlich Interesse an dem Karussells, welches in der Scheune steht.

Es war im Jahr 1900 erbaut worden, jahrelang von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gezogen. Wie viele Kinderaugen mochte es zum Strahlen gebracht, wie viele Herzen mit seinen Lichtern gewärmt haben?“
[S. 103, Z. 10-13]

Mir hat der Charakter von Antonia sehr gefallen, da er sehr lebhaft und freundlich gezeichnet ist. Trotz ihres großen Verlusts und tiefer Trauer, nimmt sie ihr Leben wieder in die Hand.
Otto, Antonias Großvater, lernen wir in den ersten Kapiteln als alten, mürrischen und verbitterten Griesgram kennen. Er sitzt in dem Dorf Finsternthal, redet mit seinem Karussell und scheucht jeden, der es wagt seinen Hof zu betreten, fort.
Im Jahre 1938 sah Ottos Leben noch völlig anders aus: Mit seinem Bruder und seinem Vater war er Schausteller, war überall und nirgendwo zuhause. Reibereien mit seinem älteren Bruder gehörten zu seinem Leben dazu. Otto ist eher schüchtern, während der Bruder in fast jeder Stadt mindestens einer Frau das Herz bricht. Doch als die junge Lene in Ottos Leben tritt, ist es um ihn geschehen. Otto schmiedet große Plane, wirkt euphorisch.
1990 ist von diesen großen Plänen nichts mehr übrig. Otto lebt noch sehr in der Vergangenheit, sein aktuelles Leben wirkt trostlos und leer.

Die Zeit lief unerbittlich weiter. Ein Zurück gab es nicht. So gern hätte er jetzt neben seinem Vater gesessen, sich mit ihm den Schnupftabak geteilt, über das Wetter und andere Belanglosigkeiten gesprochen, einfach seine Stimme gehört.“
[S. 241, Z. 10 – 14]

Die Charaktere in dem Buch „Das Winterkarussell“ haben mir sehr gut gefallen. Sie sind alle sehr lebensecht und authentisch beschrieben – sie machen Fehler, strahlen aber trotzdem eine Wärme und Leidenschaft aus.
Gerda, eine Dorfbewohnerin aus Finsternthal, ist mir mit ihrer lebensfrohen Art sehr ans Herz gewachsen. Viele Situationen mit ihr brachten mich zum Schmunzeln, ein Charakter zum lieb haben.
Auch Justus hat etwas ganz Besonderes an sich. Er wirkt des Öfteren wie der ruhende Pol in dieser Geschichte, auch wenn er alles daran setzt, aus dem Schatten seines Vaters hinauszutreten.
Lene spielt vorwiegend im Jahr 1938 eine große Rolle. Sie ist eine hübsche junge Frau, die mit ihren Entscheidungen leider nicht ganz frei ist. Aber sie besitzt viel Leidenschaft – für ihre Heimatstadt Frankfurt und für Otto.

Der Sprachstil von Anna Liebig ist wunderschön flüssig. Viele Details, vor allem zum winterlichen Frankfurt am Main ließen mich in die Geschichte abtauchen. Die Beschreibungen des Frankfurter Weihnachtsmarkts damals und heute, der hessische Dialekt, der immer mal wieder eingestreut wird, machten das Buch zu einem großen Lesevergnügen. Auch wenn ich schon ein paar mal in Frankfurt war, sehe ich die Stadt Dank des Buches nun mit anderen Augen.
Auch die liebevolle Beschreibung des Karussells und der Gefühle, wenn man ein solches Karussell sieht, erfüllten mein Herz mit Wärme.

Das große Thema in dem Buch „Das Winterkarussell“ von Anna Liebig ist die Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart. Alles hängt miteinander zusammen. Entscheidungen von damals prägen das Hier und Jetzt.
Ein Leben ist geprägt von Verlusten. Jeder Mensch geht damit anders um. Das Buch zeigt, dass es sich aber immer lohnt weiter zu machen, nicht aufzugeben.
Es ist vergleichbar mit einer Karussellfahrt: Man steigt ein, dreht seine Runden, einige Menschen steigen aus, andere ein.
Auch die Veränderung der Stadt Frankfurt am Main nach den Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ist ein großes Thema.

Die Vergangenheit ließ sich nicht ändern. Sie war gelebt. Aber diese Stadt zeigte ihm, dass man weitermachen musste. Frankfurt hatte am Boden gelegen und war wieder aufgestanden. Die Stadt hatte sich nicht verkrochen, nicht versteckt, war nicht verbittert, sie zeigte ihre Narben, auch wenn sie vieles verloren hatte.“
[S. 267, Z. 3 – 8]

Fazit: Das Buch „Das Winterkarussell“ von Anna Liebig ist wie ein Wintermärchen, welches Mut und Zuversicht verspricht. Es besticht durch authentische und liebenswerte Charaktere, die in eine wundervolle Handlung eingebettet sind. Das Buch liest sich wie eine Liebeserklärung an die Stadt Frankfurt am Main, vor allem aber an den Weihnachtsmarkt. Eine perfekte Weihnachtslektüre, welches Herz und Seele erwärmt. Lesenswert!

Hinweis: Dieses Buch habe ich vom Blanvalet-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Das Kaffeehaus – Bewegte Jahre“

von Marie Lacrosse

Erschienen am 28. September 2020 im Goldmann-Verlag
ISBN: 978-3-442-20597-4
https://www.randomhouse.de/Paperback/Das-Kaffeehaus-Bewegte-Jahre/Marie-Lacrosse/Goldmann/e560711.rhd

Das Buch „Das Kaffeehaus – Bewegte Jahre“ von Marie Lacrosse ist der Auftakt einer Trilogie, die in Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt und die ‚Affaire Mayerling‘ als Hauptthema hat.

Coverrechte: Goldmann-Verlag

Ende des 19. Jahrhunderts in Wien: Die junge Sophie von Werdenfels leidet unter dem frühen Verlust ihres Vaters, noch mehr aber leidet sie unter dem strengen und lieblosen Regiment des Stiefvaters. Immer wieder flieht sie zu ihrem bürgerlichen Onkel Stephan Danzer, der ein prächtiges Kaffeehaus besitzt. Hier, zwischen Mandelmelage und Prinzentorte, findet Sophie Bestätigung und Anerkennung.
Mit Mary Vetsera, einer Tochter von Adel, verbindet Sophie eine tiefe Freundschaft.
Doch diese Freundschaft wird durch zwei Männer aufgemischt: Richard von Löwenstein und Rudolf, dem Kronprinzen. Richard, ein persönlicher Freund von Rudolf, verliebt sich in Sophie. Mary hingegen beginnt für den verheirateten Kronprinzen zu schwärmen und schlägt alle Warnungen ihrer Freundin in den Wind – sie beginnt sogar eine Affäre mit Rudolf. Diese Affäre, und vor allem das Ende, wird die gesamte Habsburgermonarchie tief erschüttern.

Mit großer Begeisterung habe ich die „Weingut-Saga“ von Marie Lacrosse gelesen. Als sie in den Sozialen Medien vor einigen Monaten ihre neue Buchreihe vorstellte, war mein Interesse direkt geweckt. Die ‚Affäre Mayerling‘ interessiert mich schon sehr lange, genauso wie die Zeit, in der das Buch spielt. Durch die „Sissy-Filme“ mit Romy Schneider bin ich dieser Zeit, aber auch der österreichischen Kaiserfamilie verfallen. Meine Vorfreude auf den Auftakt der Reihe war enorm und ich konnte den Erscheinungstag kaum erwarten.
Freundlicherweise bekam ich das Buch als vorzeitiges Rezensionsexemplar vom Goldmann-Verlag zugesendet, da Marie Lacrosse mich auf ihrer „Bloggerliste“ aufnahm.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Goldmann-Verlag und an Marie Lacrosse für die Zusendung des Buches.

Viele der Figuren in diesem Buch sind historisch belegte Persönlichkeiten. Diesen Figuren, die ich oft nur aus dem Geschichtsbuch kannte, haucht Marie Lacrosse Leben ein. Sie agieren neben fiktiven Figuren, eingebettet in einem akribisch recherchierten geschichtlichen Hintergrund. Alle Figuren, egal ob real oder fiktiv, bestechen durch Tiefe und Authentizität. Sie haben ihre Ecken und Kanten, sie leben ihr Leben in ihrer Zeit, auch wenn es für sie nicht immer leicht ist.
Beginnen wir mit der fiktiven Sophie von Werdenfels, welche aber einer wahren historischen Persönlichkeit nachgestellt wurde: Durch den Tod ihres Vaters und ihres Bruders muss die junge Frau nun ihren strengen Stiefvater erdulden. Diesen hat ihre Mutter aus unerfindlichen Gründen geheiratet und macht damit nicht nur ihre Kinder unglücklich, sondern auch sich selbst. Sophie ist ein gescheite und vernünftige Frau, die aber nicht nur perfekt ist. Ihr unterlaufen Fehler, sie verliebt sich unglücklich, ist aber trotzdem für andere da: Für ihre Freundin Mary ist Sophie eine wichtige Stütze, auch wenn die Freundschaft nie ganz rund läuft. Aber auch Sophies jüngere Schwester kann sich auf Sophie verlassen.
Mary Vetsera, ist eine der vielen historischen Persönlichkeiten ist in dem Buch, und übernimmt eine der Hauptrollen. Sie ist eine junge und äußerst naive Frau, die in ihrem Leben noch nicht angekommen ist, sie weiß nicht recht, wo ihr Platz ist. Was als Schwärmerei für den Kronprinzen Rudolf beginnt, endet in einem Wahn, sie erliegt Rudolf völlig, lässt sich von ihm mitreißen. Marie Lacrosse hat den Charakter der Mary Vetsera sehr genau herausgearbeitet, ihre Geschichte hat mich sehr beeindruckt und ich erlebte mit ihr ein Wechselbad der Gefühle. Marie Lacrosse hat gezeigt, wie es dazu kommen konnte, dass Mary sich Rudolf völlig ergab.
Kronprinz Rudolf wird von Marie Lacrosse ebenfalls sehr lebendig und sehr psychologisch tiefgründig beschrieben. Ein tief verletzter Mensch, der schon früh in seinem Leben auf die Ablehnung seiner Eltern stieß und sich zurückgesetzt fühlte. Zudem noch in einer unglücklichen Ehe gefangen und körperlich und seelisch krank. Auf der einen Seite ein Opfer, auf der anderen Seite wird er dann selbst zum Täter. Rudolf ist, neben Mary, eine Figur, die noch sehr lange nachklingen wird.
Richard von Löwenstein, Rudolfs persönlicher Freund, ist ein fiktiver Charakter, der aber dazu beiträgt, dass der Kronprinz dem Leser noch näher kommt. Richard ist mit sich selbst nicht im Klaren, er wird zu einigem gezwungen, was ihm zu Wider ist. Auch wenn er Konflikte scheut, wirkt er auf mich in vielen Szenen stark und authentisch, da er eher unperfekt ist. Ich bin sehr gespannt, wie es mit ihm im zweiten Teil weitergehen wird.
In diesem Buch gibt es viele, sehr viele Charaktere. Auf jeden einzeln einzugehen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Eingehen möchte ich aber noch auf Stephan Danzer, der Onkel von Sophie. Er bringt Wärme und Geborgenheit in das Buch. Auch wenn er selbst einen großen Verlust erlitten hat, fängt er seine Nichte Sophie immer wieder auf, schenkt ihr Zuwendung und vor allem Anerkennung. Ein fiktiver Charakter, der mich sehr beeindruckt hat.
Wirklich alle Charaktere bestechen durch eine außerordentlich facettenreiche und authentische Charakterzeichnung. Historische Persönlichkeiten, wie das Kaiserpaar oder Stephanie von Belgien (Rudolfs Frau), sind für mich greifbarer geworden.
Anfangs war ich mit den vielen Figuren etwas überfordert, aber das ausführliche Personenregister am Anfang des Buches hilft bei Unsicherheit weiter.

Der Sprachstil von Marie Lacrosse ist sehr lebendig und detailliert, ohne jemals langatmig zu sein. Ab der ersten Seite war ich in der Handlung angekommen. Durch Einstreuung des Wiener Dialekts und den vielen Beschreibungen und Details der Stadt und ihrer Menschen, ist das Buch eine wahre Zeitreise. Ich tanzte auf Bällen, bestaunte die Kleider der Frauen, saß in pompösen Theatern, traf die Kaiserfamilie und saß mit Sophie in dem prächtigen Kaffeehaus. Wann immer ich das Buch in die Hand nahm, war ich in der Handlung gefangen und wollte das Buch nicht mehr aus den Händen legen. Auch wenn ich wusste auf was alles unweigerlich hinausläuft, musste ich immer weiter lesen.

Das große Thema in „Das Kaffeehaus – Bewegte Jahre“ ist die ‚Affäre Mayerling‘, sie sich am 30. Januar 1889 ereignete. Marie Lacrosse hat diesen Sachverhalt akribisch recherchiert, auch wenn sich viele historische Quellen, die sie studiert hat, widersprechen. Im ausführlichen Nachwort geht die Autorin gut auf ihre Recherchen ein.
Die ‚Affäre Mayerling‘ wird wahrscheinlich nie restlos aufgeklärt werden können, da viele Dokumente vernichtet wurden. Der Roman stützt sich auf die neusten Erkenntnisse und zeigt, wie es wohl abgelaufen sein könnte.
Eine Affäre, die die Habsburgermonarchie erschütterte und tiefe Spuren hinterließ. Diese Spuren versuchte man zu verwischen, was aber (zum Glück) nicht komplett gelang.

Fazit: Das Buch „Das Kaffehaus – Bewegte Jahre“ von Marie Lacrosse ist ein facettenreicher und bildgewaltiger Auftakt einer vielversprechenden Trilogie. Mit Authentische Charakteren, die in einen spannenden geschichtlichen Hintergrund eingebettet sind, ist das Buch Kopfkino pur. Ich bin schon sehr gespannt auf den zweiten Teil, der im April 2021 erscheint. Danke für die lehrreichen und unterhaltsamen Lesestunden liebe Marie Lacrosse.

Hinweis: Dieses Buch habe ich vom Goldmann-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.

„Die vergessene Heimat“

von Deana Zinßmeister

Erschienen am 21. September 2020 im Goldmann-Verlag
ISBN: 978-3-442-49100-1
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Die-vergessene-Heimat/Deana-Zinssmeister/Goldmann/e568105.rhd

In dem Buch „Die vergessene Heimat“ von Deana Zinßmeister erzählt die Autorin eine dramatische Flucht aus Ostberlin im August 1961 und damit die Geschichte ihrer eigenen Familie.

Der Prolog setzt am 12./13. August 1961 in Ostberlin an: Hier lernen wir das junge Pärchen Ernst und Leni kennen. Sie haben viele Träume und Wünsche, die von jetzt auf gleich in Scherben vor ihnen liegen: Direkt vor ihrer Haustür wird mit dem Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ begonnen. Damit endet nicht nur für sie die Zeit, in der sie völlig unbedarft nach Westberlin durften, sie werden buchstäblich eingesperrt. Schnell wird für die Beiden klar, dass sie fliehen werden.
Der zweite Erzählstrang beginnt im Januar 2014: Britta Hofmeister, eine erfolgreiche Kochbuch-Autorin lebt mit ihrer Familie im Saarland. Ihre Geschwister wohnen nicht weit entfernt, ihre Eltern verbringen viele Monate im Jahr auf Mallorca. Doch dieses geregelte und friedliche Leben bekommt Risse, als ihr Vater Ernst schwer erkrankt. Er erinnert sich an vieles nicht mehr, wird zunehmend aggressiv und erkennt schon sehr bald seine Familie nicht mehr. Die Diagnose Demenz steht im Raum. Doch die Erinnerungen an eine dramatische Flucht im Jahr 1961 werden in Ernst wieder lebendig.

Durch das Buch bin ich über die Sozialen Medien aufmerksam geworden. Da ich die Historischen Romane von Deana Zinßmeister sehr schätze und gerne lese, ist sie auf Facebook auch in meiner Freundesliste zu finden. Als das Cover und der Klappentext veröffentlicht wurden, war mein Interesse direkt geweckt. Ich lese gerne Bücher über Fluchten aus dem Osten und empfinde diese Thematik als sehr spannend – auch wenn es unvorstellbar ist, was diese Menschen damals auf sich genommen und riskiert haben.
Die Autorin vermittelte mir beim Verlag ein Rezensionsexemplar – an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Deana Zinßmeister und den Goldmann-Verlag.

Die Figuren in diesem Buch haben alle reale Personen als Vorbild. Dadurch ist das Buch, sowie die Figuren und die Handlung sehr authentisch und intensiv.
Ich habe alle Figuren sehr ins Herz geschlossen, konnte mich gut in sie hineinversetzen und litt mit ihnen mit.
Im Erzählstrang, der im Jahr 1961 spielt, lernen wir den jungen Ernst kennen. Ein wahrer Kämpfer – was sein Name auch bedeutet. Er möchte sich nicht in der DDR einsperren lassen, er möchte frei sein und vor allem frei denken. Akribisch plant er die Flucht seiner Familie in den Westen. Die Ängste und Bedenken seiner Partnerin Leni kann Ernst gut zerstreuen, auch wenn diese einen Teil ihrer Familie im Osten zurück lassen muss. Er ist ein Macher, der sich von den Machenschaften der DDR nicht unterkriegen lässt.
Leni hat mit Ernst den Mann fürs Leben gefunden. Für sie ist klar, dass sie mit ihm flüchten wird und nicht zu ihrer Familie nach Thüringen zurückkehren wird.
Auch die anderen Figuren in diesem Erzählstrang sind lebendig und stark gezeichnet. Immer wieder kommen sie ins Grübeln, ob ihre Entscheidung zur Flucht wirklich so gut ist. Sie müssen vieles zurücklassen: Ihre Wohnungen, sicherer Arbeitsplätze, Freunde und Familie. Sie flüchten in eine ungewisse Zukunft, wissen nicht, ob sie im Westen Arbeit und Wohnungen finden. Aber sie wissen, was sie „drüben“ finden werden: Freiheit und vor allem Lebensfreude.

Doch nach dem 13. August schien sich ein grauer Schleier über ihr Leben gelegt zu haben. Alles erschien schwer und mühsam. Manchmal, wenn sie beim Frisieren ihrer Kunden sich selbst im Spiegel sah, war sie erschrocken über ihre versteinerte Miene. Doch wenn sie die Gesichter der anderen betrachtete, erkannte sie, dass es vielen im Osten nicht anders erging. Die Lebensfreude wurde vom Stacheldraht ausgegrenzt.“ [S. 280 Z. 25- 29 und S. 281 Z. 1-4]

Im zweiten Erzählstrang, der im Januar 2014 ansetzt, lernen wir die drei Kinder von Ernst und Leni kennen. Diese haben ihren Platz im Leben gefunden, sich eingerichtet und sind mit sich und ihren Leben glücklich. Doch dieses Familienglück wird durch die Erkrankung des Vaters Ernst auf eine harte Probe gestellt. Die drei Geschwister haben völlig andere Ansichten darüber, wie man den Eltern am besten hilft und welche Hilfe sie überhaupt benötigen. Auch hier bestechen die Figuren mit Authentizität und starker Charakterzeichnung.
Als Leser bekommt man den geistigen Verfall von Ernst hautnah mit, aber auch die Not der Angehörigen, die sich in dieser Situation erst einmal zurecht finden müssen. Es muss alles neu organisiert werden. Tagesabläufe, aber auch die Kommunikation unter den Geschwistern.

Die Sprache von Deana Zinßmeister nahm mich von der ersten Seite an mit in die beiden Geschichten. Beide Erzählstränge sind sehr authentisch und emotional, teilweise mochte ich das Buch nicht mehr aus den Händen legen und hatte beim Lesen die Tränen in den Augen.

Das große Thema ist eine Flucht aus der DDR, eine Flucht von vielen, die aber genau so stattgefunden hat. Die Verzweiflung der Menschen, die alles zurücklassen und den Mut aufbringen, wieder ganz von vorne zu beginnen, haben mich sehr beeindruckt. Sie brachten mit der Flucht nicht nur sich in Gefahr, sondern auch Freunde und Verwandte, die zurückblieben. Immer wieder stellte ich mir die Frage, ob ich auch aus einem Staat geflüchtet wäre, in dem man nicht frei reden konnte, weil man Angst haben musste, dass am Nachbartisch jemand mithört. Oder man sich selbst in der eigenen Wohnung nicht mehr sicher fühlen konnte, weil ein zu aufmerksamer Nachbar „große Ohren“ hatte. Hätte ich meine Kinder der Gefahr einer Flucht ausgesetzt? Fragen, die sich heutzutage noch immer viele Menschen stellen müssen. Das Thema Flucht ist nach wie vor hochaktuell.
Die andere große Thematik ist die Demenz-Erkrankung. Eine Krankheit, die eine ganze Familie auf den Kopf und vor große Probleme und Herausforderungen stellt. Ich habe mich persönlich noch nicht mit diesem Thema beschäftigt, da es mir auch etwas Angst macht. Was passiert, wenn ein Mensch seine Geschichte verliert? Deana Zinßmeister schildert den Verlauf dieser Krankheit sehr eindrücklich und auch sehr persönlich. Ich litt sehr mit der Familie aber auch mit Ernst mit. Das Buch berichtet schonungslos, wie das Familienleben fast an dieser Diagnose zerbricht.

Fazit: Ein sehr persönliches und ergreifendes Buch der Autorin. Eine Familie, die zusammen hält und sich nicht unterkriegen lässt – in der Vergangenheit und in der Zukunft.
Denn auch wenn ein Mensch seine Vergangenheit vergisst, in Vergessenheit darf sie nie geraten.

Hinweis: Dieses Buch habe ich vom Goldmann-Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar bekommen – es hat meine Meinung aber nicht beeinflusst.